Als Argument für die Produktionsausweitung in Deutschland wird von verschiedenen Seiten gerne die steigende Weltbevölkerung herangezogen. Schließlich sollen die Menschen ja auch in Zukunft ernährt werden.
Die Zahlen der hungernden Weltbevölkerung reichen von 0,8-1 Milliarde. Doch wie wird eigentlich Hunger definiert?
Dazu befragte Michael Miersch in der Welt vom 17.11.09 Harald von Witzke, einen der internationalen Fachleuten, die das Gipfeltreffen der FAO in Rom vorbereitet hatten. Er forscht an der Humboldt-Universität zu Berlin über internationalen Agrarhandel und berät die Bundesregierung in Fragen zur Welternährung.
Laut Definition würden nach von Witzke diejenigen als Hungernde bezeichnet, die unterhalb der absoluten Armutsgrenze von derzeit $1,25 pro Tag und Person leben müssten. Diese Menschen müssten 70% und mehr ihres geringen Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden.
Danach hat Hunger also nicht vorrangig etwas mit zu wenigen Nahrungsmitteln zu tun, sondern vielmehr damit, dass viele Menschen einfach nicht genug Geld verdienen, um sich Nahrungsmittel kaufen zu können.
Dazu passt auch die Aussage des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon, dass die weltweite Landwirtschaft durchaus in der Lage ist, die Weltbevölkerung zu ernähren und jeden einzelnen der aktuell knapp 7 Milliarden Menschen mit 2500 Kilokalorien täglich versorgen kann. Die Lebensmittel müssten nur sinnvoller verteilt werden. Denn neben den ca. 1 Milliarde hungernden Menschen gibt es bereits auch eine Milliarde Übergewichtige. Nicht mangelnde Produktion, sondern nur die Verteilung des bereits produzierten ist also das eigentliche Problem.
Zurück zu von Witzke: der Statistik zufolge würden gerade Kleinbauern in Entwicklungsländern hungern. Diese könnten nicht genug produzieren, um ihre eigenen Familien zu ernähren. Was auch, mangels entsprechenden Einkommen, am fehlenden Zugang zu produktiveren Technologien wie ertragreicherem Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln liegen würde.
Nun ist also die Frage, was wir in den westlichen Industriestaaten wollen, wie wir dem Hunger in der Welt begegnen, ihn bekämpfen wollen. Wollen wir die Entwicklungsländer mit ernähren? Dann müssten wir so günstig produzieren, dass diese sich unsere Produkte auch leisten könnten. Was bei den hiesigen Kostenstrukturen schwierig bis unmöglich werden dürfte.
Oder wollen wir lieber die Entwicklungs- und Schwellenländer in die Lage versetzen, dass sie ihre Ernährung selber sicherstellen können?
Was ist sinnvoller und günstiger für alle Beteiligten auf der Welt?
Harald von Witzke sieht die Produktionssteigerung als Mittel der Wahl, um der steigenden Weltbevölkerung und dem Hunger zu begegnen. Eine Flächenausweitung ist nur begrenzt möglich, da die produktivsten Flächen bereits bewirtschaftet werden. Auch aus Umwelt- und Klimaschutzgründen sollte die Produktionsfläche nicht erhöht werden.
Das größte Potential einer Produktivitätssteigerung dürfte also auf den Flächen liegen, die bereits genutzt werden, aber eben noch nicht so intensiv, wie es in den Industriestaaten der Fall ist. Dort könnte mit relativ geringem Aufwand sehr viel erreicht werden. Wohingehend eine Produktionssteigerung hierzulande nur noch mit sehr viel mehr Aufwand möglich wäre.
Durch die bessere Ausnutzung der Flächen in den Entwicklungsländern wären die dortigen Bauern auch eher in der Lage, entsprechende Einkommen zu erzielen. Neben der Nahrungsmittelversorgung im eigenen Land könnten dann auch mehr Menschen höhere Einkommen erzielen und sich teurer westliche Produkte leisten. Was wiederum uns zugute kommen würde.
Andersherum die Produktionsausweitung im Westen: nur mit höherem Aufwand zu erreichen, bei höheren Löhnen und Kosten würden sich die Nahrungsmittel alleine durch Massenfertigung nicht verbilligen. Siehe USA: auch hocheffiziente 6000-Milchkuh-Betriebe sind der nicht in der Lage, momentan kostendeckend zu wirtschaften. Deren Produktion wird nur durch Investoren aus der verarbeitenden Nahrungsmittelindustrie aufrecht erhalten.
Um unsere tendenziell teurer hergestellten Lebensmittel auf einem Weltmarkt zu günstigen Preisen absetzen zu können, müssten reichlich Zuschüsse vom Staat und der EU gewährt werden. Nur so liesse sich eine nicht kostendeckende Produktion aufrecht erhalten.
Genau diese Subventionen möchte aber die EU gerne verringern in der Zukunft. Und eventuell kostensenkende Maßnahmen wie die Zulassung von gentechnisch veränderten Anbaupflanzen, geringere Bürokratie und vereinfachte Produktionsregeln sind hierzulande nicht gewünscht. Dem Verbraucher wären solche Maßnahmen nur schwer vermittelbar.
Wie also sollten wir in Europa langfristig mit der Welt konkurrieren? Alleine der Versuch bringt jetzt schon zahlreiche Bauern an den Rand des Ruins bzw. hat sie schon darüber hinaus befördert. Und in den Entwicklungsländern helfen wir mit unseren Hilfsversuchen zur Ernährungssicherheit leider auch niemandem wirklich. Solange die Menschen dort kein Geld verdienen, solange können wir noch so billig produzieren mit noch so hohen Subventionskosten zum Nachteil der Steuerzahler, die Menschen in den Entwicklungsländern werden sich unsere Nahrungsmittel immer noch nicht leisten können. Und wenn sie gerade so eben am Leben gehalten werden von uns, so kommen sie doch nie aus der Lage eines Entwicklungslandes heraus, solange die dortigen Regierungen ihre heimische Landwirtschaft vernachlässigen. Denn gerade in den armen Ländern ist die Landwirtschaft meist der bedeutendste Wirtschaftsbereich. Und hat noch ein enormes Wachstumspotential, mit dem wir im Westen, in den Industriestaaten, niemals zu deren Kosten mithalten könnten.
Uns bliebe der europäische Markt, der sehr hohe Qualitätsstandards erwartet. Diese müssten aber auch bezahlt werden. Anderenfalls würde der Markt die heimische Produktion unmöglich machen, wenn keine kostendeckenden Preise zu erzielen sind. Dann hätte uns der Weltmarkt für zu teuer und überflüssig erklärt. Wer den Weltmarkt um jeden Preis will, der sollte aber wenigstens den Steuerzahler von den Subventionskosten verschonen. Es wäre ihm schwer vermittelbar, welchen Vorteil er selber davon hätte, teuer hergestellte Lebensmittel billig in andere Länder zu verfrachten, deren Einwohner absichtlich arm gehalten werden.
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